Restrukturierungs-Beispiel aus der Praxis Die Umsatzjagd zum Jahresende kann teuer zu stehen kommen

Wieviel Umsatz fehlt uns noch? Alle Jahre wieder hört vor allem der Vertriebschef diese Frage, wenn sich der November dem Ende neigt. Kommt wie in diesem Jahr die Covid-19-Krise hinzu, starten viele Unternehmen verzweifelte Versuche, die Umsatzziele des Jahres zu erreichen. Dies kann fatale Auswirkungen haben.

Ich erlebe es immer wieder, wenn ich als Restrukturierungs-Beraterin gerufen werde: Zum Jahresanfang legt das Unternehmen seine Planungen vor, die wieder einmal einen sportlichen Anstieg des Umsatzes enthalten. Auf dieser Basis werden neue Mitarbeiter eingestellt, Produktionskapazitäten ausgeweitet und Investitionen in IT, Marketing und Entwicklung getätigt. Schon nach wenigen Monaten zeigt sich jedoch, dass die Quartalszahlen nicht den erhofften Planungen entsprechen.

Anfangs herrscht noch Optimismus

„Das wird schon noch“, motiviert die Geschäftsleitung die Belegschaft, zuvorderst den Vertrieb. Und um alle vom eigenen Optimismus zu überzeugen, bleiben die Budgets ungekürzt. Schließlich sei es nur eine Frage der Zeit, bis der Umsatz „zurück in die Spur“ käme, wie es so oft heißt. Doch der Weg ist steiniger als gehofft.

Während im dritten Quartal nur einige wenige Stimmen aus der Finanzabteilung laut werden, sich auf Investitionsseite etwas zurückhaltender zu zeigen, schrillen die Alarmglocken im vierten Quartal dann unüberhörbar. Es zeigt sich klar und deutlich, dass es mehr als herausfordernd sein würde, das Umsatzziel wirklich noch zu erreichen. Die Crux: In den Monaten zuvor war das Ergebnis angesichts der ausgebauten Kapazitäten bei „Mensch“ und „Maschine“ drastisch geschrumpft.

Guter Umsatz – schlechter Umsatz

Die Folge ist so erwartbar wie fatal: Die Jagd nach Umsatz ist eröffnet, die Marge spielt nur eine Nebenrolle. Der Druck auf die Vertriebsmannschaft ist so immens, dass auch die „schlechten“ Umsätze plötzlich „gute“ Umsätze sind. Hauptsache, die Ziele rücken näher.

Kunden spüren bei den Verhandlungen, wie gesprächig der Außendienst wird, nachdem er jahrelang nicht hatte mit sich reden lassen, was den Preis anging. Alternativ dazu enthält das neue Angebot kurz vor Jahresende deutlich verlängerte Zahlungsziele. Auch Kunden mit schlechten Bonitäts-Einstufungen, die Herrn X. vom Außendienst der Firma Z. schon seit einem Jahrzehnt nicht mehr gesehen hatten, erhalten wie aus dem Nichts attraktive Angebote zu unschlagbaren Preisen.

Auf den Champagner folgt der Kater

Als im Januar die letzten Vertriebszahlen verbucht sind, knallen die Sektkorken: Der Umsatz liegt am ultimo nur hauchdünn unter den Planzahlen. Der Vertrieb hat es mal wieder rausgerissen! Die Quittung für diesen scheinbaren Erfolg folgt dann aber sehr schnell: Die Zugeständnisse gegenüber den Kunden lassen das Unternehmen in den Verlust schlittern.

Lange Zahlungsziele sowie die geringe bzw. ausgebliebene Vorkasse, für Anlagenbau-Unternehmen überlebenswichtig, führen zur Unterdeckung und die Liquidität schmilzt ab, noch bevor die Frühlingssonne den Winter vertreiben kann.

Zudem sind die Meldungen aus dem Vertrieb besorgniserregend: Zwar werden die Verkäufer überall herzlich empfangen – aber eben auch die am Jahresende zugebilligten Sonderpreise. Die Sonderkonditionen hat der Markt nun als normalen Preis akzeptiert und ist nicht bereit, auch nur einen Euro mehr zu zahlen als beim letzten Auftrag.

Bitte verstehen Sie mich an dieser Stelle nur nicht falsch: Der Vertrieb ist in meiner Geschichte aus der Praxis nicht Ursache des Problems. Mit klaren Vorgaben, bis zu welcher Preis-Untergrenze verhandelt werden darf, hätten viele der späteren Probleme vermieden werden können.

Die nächste Planung kommt bestimmt

Daher sollten vor allem mittelständische Unternehmen in der vermutlich finalen Phase der Planungen für 2021 etwas weniger stark auf die Steigerung des Umsatzes konzentrieren. Gut beraten sind diejenigen, die kontinuierlich die Profitabilität von Kunden, Projekten und Produkten messen und dadurch sehr fein justieren können, welche Preise gehen – und welche eben nicht. Erfolgreiche Unternehmen verzichten in bestimmten Situationen ganz bewusst auf Umsatz und umgehen damit die oben beschriebenen Risiken. Dies erfordert gegenüber teils langjährigen Kunden zugegebenermaßen viel Mut – ist aber immer besser, als sich von der Angst vor einem Umsatz-Rückgang treiben zu lassen.

Und überlegen Sie bitte genau, wann und wie viel zusätzliche Kapazität aufgebaut werden soll. Dieser Aspekt ist nicht grundsätzlich Teil des Problems: Ich erlebe immer wieder, dass Umsatzziele auch ohne diese – zusätzliche – Hürde fast um jeden Preis erreicht werden müssen. Dennoch gilt der Rat, Investitionen nicht zu früh zu tätigen, um den (Umsatz-)Druck nicht zusätzlich zu vergrößern.

Optimismus ist wichtig – wenn die Basis stimmt

Fazit: Optimismus ist wichtig und zeichnet Unternehmertum aus – wenn die Basis stimmt. Dazu gehören eine gute Planung, laufende Profitabilitäts-Analysen, Mindestmargen, die Definition von „Schmerzgrenzen“ und eine strategische Preisbildungs-Politik. Steht dann noch eine klare Idee hinter der eigenen Strategie, ist das oben beschriebene Szenario ein gutes Stück entfernt. Nicht unterschätzt werden sollten zudem die Vorteile eines kontinuierlichen Monitorings des Geschäftsverlaufs – es versetzt Unternehmen in die angenehme Lage, sehr schnell auf unvorhergesehene Situationen reagieren zu können.

Bis nächste Woche. Bleiben Sie wie immer gesund und wachsam – es geht schließlich um Ihr Unternehmen!

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