Crisis? What crisis?

Es geht wieder voran: Die deutsche Industrie erholt sich den dritten Monat in Folge vom Einbruch in der Corona-Krise. Das verarbeitende Gewerbe kann ebenfalls zulegen, wenn auch schwächer als vorhergesagt. Unternehmen und Politik sind zuversichtlich, dass es im dritten Quartal steiler bergauf geht. Alles scheint (wieder) in bester Ordnung – aus meiner Sicht aber nur scheinbar, nicht anscheinend.

Angelehnt an den Album-Klassiker der britischen Band Supertramp aus dem Jahr 1975 werde ich in meinem Blog die aktuelle wirtschaftliche Situation von mittelständischen Unternehmen in Deutschland beleuchten. Als Restrukturierungsspezialistin, Wirtschaftsprüferin und ehrenamtliche Handelsrichterin am Landgericht Hamburg habe ich dabei einen unverstellten Blick auf die aktuelle Situation von Inhabern, Geschäftsführern und Belegschaften von Betrieben. Viele von ihnen kämpfen um ihre wirtschaftliche Zukunft. Mit meiner Beratungsgesellschaft Kaes und Kollegen unterstütze ich diese Unternehmen bei der Sanierung und Restrukturierung.

Corona-Pandemie: Bund und Banken haben schnell reagiert

Die Ausbreitung der Covid-19-Pandemie hielt uns seit Beginn des Jahres in Atem. Im März kam dann, was bis dahin niemand so richtig für möglich gehalten hatte: Innerhalb weniger Tage mussten ganze Produktionen stillgelegt werden, Mitarbeiter wurden ins Home Office geschickt, Geschäfte blieben geschlossen. Mit katastrophalen Folgen für die Wirtschaft.

Die Politik hat mit ihren sehr schnell einsatzbereiten Hilfsprogrammen vieles richtig gemacht. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau meldete einen deutlichen Anstieg bewilligter Darlehen und Sonderhilfen, die speziell für Corona-geschädigte Unternehmen aufgelegt wurden. Dabei war die Ausgangssituation ohnehin günstig: Viele Unternehmen hatten in den vergangenen Jahren von sehr günstigen Darlehen profitiert, die dank der Notenbank-Politik mit historisch niedrigen Zinssätzen ausgestattet waren. Entsprechend hohe Tilgungsraten konnten vereinbart werden.

Diese hohen Tilgungszahlungen führten jedoch in der Corona-Krise bei stark betroffenen Unternehmen dazu, dass der Cash-flow sehr schnell belastet wurde. Doch auch hier reagierten die meisten Banken: War es vor der Corona-Phase noch nahezu unmöglich, mit Kreditinstituten Vereinbarungen zur Tilgungsaussetzung zu vereinbaren, funktionierte dies plötzlich im Online-Verfahren – schnell, unbürokratisch und kundenfreundlich.

Den Banken droht ein „heißer Herbst“ – und damit auch vielen Unternehmen

Doch auch an den Banken geht die Corona-Krise nicht spurlos vorüber. Viele Experten erwarten für die Kreditinstitute einen heißen Herbst; es wird zu vermehrten Kreditausfällen kommen. Dementsprechend schwieriger wird es für Unternehmer, weiterhin bereitwillige und gesprächsbereite Bankberater zu finden, wenn es darum geht, Restrukturierungshilfen zu beantragen.

Einigen Unternehmern, so stelle ich in Gesprächen immer wieder fest, ist diese Situation noch nicht klar. Sie erinnern sich noch an die schnelle und relativ unbürokratische Hilfe von Bund und Banken und gehen davon aus, dass es so weitergehen wird. Zusammengefasst hört sich ihre Einschätzung dann so an: „Krise? Wenn, dann hat Corona höchstens eine kleine Delle in der eigenen Erfolgsgeschichte hinterlassen.“

Überlebensmodus statt nachhaltig Weichen stellen

Die Gefahr ist groß, dass diese (Selbst)Sicherheit trügerisch ist. Denn viele Unternehmer haben die vergangenen Monate nicht dazu genutzt, um die Weichen für nachhaltiges Wachstum zu stellen. Stattdessen brauchen sie die noch vorhandenen liquiden Mittel weiterhin auf, um sprichwörtlich zu überleben. Fakt ist: Die erfolgreichen Produkte der Vergangenheit konnten viele Monate lang nicht verkauft werden. Häufig werden die Unternehmen nur im Sparmodus betrieben – dies bedeutet Kurzarbeit, Investitionsstopp und oft auch Innovationsstopp. Und die Darlehen müssen irgendwann getilgt werden.

Wegen der bereits beschriebenen schwierigen Situation werden die Geldinstitute darauf besonders Wert legen und darauf drängen. Hinzu kommen Stundungen auf Sozialversicherungen, Mieten etc. Hier baut sich ein großer Berg auf, der bei vielen, insbesondere mittelständischen Unternehmen schnell so hoch anwächst, dass ein Aufstieg aus eigener (finanzieller) Kraft unmöglich wird.

Höchste Zeit für die eigene Standortbestimmung

All diese Faktoren bilden zusammen das klassische Szenario für eine Standortbestimmung: Reicht die eigene (Finanz)Kraft noch aus, um die Krise zu überstehen? Und wie gelingt es mir gleichzeitig, ein Fundament für nachhaltiges Wachstum zu legen? Dafür müssen viele Fragen gestellt und beantwortet werden – eine Aufgabe, die insbesondere in schwierigen nahezu unlösbar aus eigener Kraft zu lösen ist. Denn Produktion, Vertrieb, Zentrale und Finanzabteilung haben jeweils eigene Vorstellungen davon, in welchen Bereichen investiert oder abgebaut werden sollte. Es ist höchste Zeit, möglichst wertfrei zu analysieren, schnelle Sofortmaßnahmen zu entwickeln und wachstumshemmende Strukturen aufzubrechen. Die Zeit des Abwartens ist für sehr viele Unternehmer vorbei.

Nächste Woche geht es weiter mit meiner Reihe von Beiträgen. Bis dahin freue ich mich über Ihre Kommentare, Fragen und Anregungen. Ansonsten gilt: Bleiben Sie gesund und wachsam – es geht schließlich um Ihr Unternehmen!

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