Restrukturierungs-Beispiel aus der Praxis Bestimmt der Markt wirklich immer den Preis?

Liegen die Zahlenwerke erst einmal in der nötigen Transparenz auf dem Tisch der Geschäftsleitung, beginnt die Diskussion über die bisherigen Fehler in der Unternehmensstrategie. Häufiger Streitpunkt: die Preispolitik. „Wir können das Produkt nicht teurer verkaufen, das gibt der Markt nicht her“, sagt der Vertrieb.

Wenn Fakten und Zahlen in einem Restrukturierungs-Projekt ermittelt und im Führungskreis des Unternehmens bekannt sind, ist die Zeit gekommen, laufende Projekte neu zu betrachten, zu bewerten und Kalkulationen zu hinterfragen. Schnell stellt sich dabei heraus: Nicht nur kleinere Unternehmen bewegen sich häufig in einer Schein-Transparenz, weshalb solche Diskussionen zuvor nie wirklich entstehen konnten. Umso schmerzhafter sind die Fragen, die plötzlich diskutiert werden müssen. Ganz oben auf der Liste: Wie teuer sind die eigenen Produkte wirklich?

It’s the Deckungsbeitrag, stupid!

Viele Unternehmer denken noch immer: Wie teuer darf mein Produkt sein? Sie berufen sich dabei gerne auf ihre Vertriebschefs. Ihr Credo: Der Markt, vulgo der Kunde, sei nicht bereit, höhere Preise zu zahlen. Dies führt zwangsläufig in eine Sackgasse. Denn wenn der Deckungsbeitrag für meine erfolgreichsten Waren oder Dienstleistungen nicht ausreicht, führt das geradewegs in die existenzbedrohende Krise. Dies ist umso bitterer, je besser, zuverlässiger und gefragter die Erzeugnisse des Unternehmens sind.

Wie trügerisch steigende Umsätze sein können, habe ich bereits in meinem Beitrag in der vergangenen Woche beleuchtet (Link). Die einzigen Profiteure sind in meinem Beispiel aus der Praxis zum einen die Vertriebsmitarbeiter – ihre Boni erreichen Rekordwerte – und zum anderen natürlich die Kunden. Sie erhalten die Produkte zu einem unschlagbar niedrigen Preis, zumindest so lange, bis das produzierende Unternehmen Insolvenz anmelden muss. Gleichzeitig schrumpft die Liquidität, weil die Kosten für Entwicklung, Herstellung, Verwaltung und, Sie ahnen es, Vertrieb nicht von den Verkaufspreisen gedeckt sind.

Verlagerung der Produktion ist nicht die einzige Lösung

Stellhebel, mit denen die Umsatzerfolge auch in Profit münden, gibt es einige. Zunächst geht es bei der Restrukturierung darum, Lücken zu erkennen und zu schließen. Schmerzhaft ist insbesondere für viele mittelständische Unternehmen mit hochentwickeltem Produktions-Know-how die Frage, ob anderswo günstigere Produktionsmöglichkeiten existieren? Schließlich müsste das Unternehmen mit der Auslagerung der eigenen Produktion jahrelang aufgebautes Wissen der eigenen Mitarbeiter genauso „abschreiben“ wie die Investitionen in Forschung, Entwicklung und Aufbau der hochspezialisierten Fertigungsanlagen.

Ist die Auslagerung aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht zu vermeiden, muss es nicht gleich eine Auslagerung nach Fernost sein. Sie bringt oftmals logistische, möglicherweise patentrechtliche sowie organisatorische Schwierigkeiten mit sich, die zusätzlich Geld kosten und damit die angestrebten Kostenvorteile teilweise oder sogar gänzlich zunichte machen. Hinzu kommt, dass Lieferketten aus fernen Regionen schnell reißen können. Dies hat sich in der Covid-19-Krise mehrfach gezeigt. Die Folge: Ohne Nachschub von Werkteilen oder Rohmaterialien stand die Produktion bei einigen deutschen Mittelständlern vorübergehend still.

Weitere Fragestellungen zur Steigerung der Rendite sind diese: Lohnen sich zusätzliche Investitionen in eine weitergehende Automatisierung? Können die Beschaffungskosten für Rohmaterialien gesenkt werden? Legen die Kunden wirklich Wert auf Produktvorteile, die den Herstellungspreis deutlich erhöhen? Und kann ich das Produkt vielleicht dahingehend variieren, um den nötigen Deckungsbeitrag zu erzielen?

Modellpolitik, Mischkalkulation, Marktanteile

Ein weiterer Stellhebel könnte es ein, die Modellpolitik umzugestalten und damit dem Wettbewerb auszuweichen, der ebenfalls Teil des Marktes ist. In Vergessenheit geraten ist in den vergangenen Jahrzehnten auch der Vorteil einer Mischkalkulation. Sie kann deutlich zu beitragen, Marktanteile zu behalten und gleichzeitig Gewinn zu schreiben. Sind diese und viele weitere Möglichkeiten ausgeschöpft, kann auch die am meisten gefürchtete Erkenntnis folgen, dass ein Unternehmen bei bestimmten Produkten nicht nachhaltig wettbewerbsfähig sein kann.

Dann hilft nur noch eines, um die Überlebensfähigkeit des Unternehmens zu retten: Der betroffene Teil des eigenen Portfolios wird eingestellt. Manchmal gelingt es, dafür einen externen Interessenten zu finden und durch den Verkauf zumindest eine kleine Entschädigung zu erwirtschaften.Der verbleibende Teil des Portfolios kann dann aber meist, wenn keine Abhängigkeiten vorhanden sind, mit Profit weitergeführt werden, da der Deckungsbeitrag nun nicht mehr durch die „schlechten“ Produkte aufgezehrt wird.

Innovationen müssen nicht immer High-Tech sein, …

Ist die Abtrennung des unwirtschaftlichen Bereichs beschlossen, muss schnellstens an einem Ersatz gearbeitet werden. Das Schlüsselwort: Innovationen. Oftmals liegen Ideen, Kalkulationen und Pläne für neue Produkte bereits fertig in den Schubladen der Entscheider. Dabei muss es nicht immer um teure High-Tech-Innovationen gehen. Vorhandene Anlagen und das Know-how der Mitarbeiter können auch für Produkte eingesetzt werden, die sogar weniger komplex als die bisherigen sind.

Mein Beispiel aus der Praxis: Der Messebauer, der in der Covid-19-Krise sein Geschäftsmodell notgedrungen änderte und plötzlich Trennscheiben für Geschäfte und Taxis produzierte.

... sie können auch das Geschäftsmodell betreffen

Ein – zugegeben – komplexeres Erfolgsrezept ist zum Beispiel dem schwäbischen Maschinenbau-Spezialisten Trumpf vor schon vor einigen Jahren gelungen. Das Unternehmen erweiterte sein Geschäftsmodell und baute neben dem klassischen Anlagenverkauf einen kompletten Dienstleistungssektor auf. Das Ziel: Statt Produktionsanlagen ausschließlich zu verkaufen, bot Trumpf zusätzlich „Pay-per-Use“ an.  Mit dieser Erweiterung des Geschäftsmodells, auch eine Innovation, war es plötzlich auch finanzschwächeren Unternehmen möglich, mit Maschinen aus dem Hause Trumpf zu arbeiten.

Bis nächste Woche. Bleiben Sie gesund und wachsam – es geht schließlich um Ihr Unternehmen!

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