Kennzahlen mit Alarmfunktion: Vor der Insolvenz steigt häufig der Umsatz
Verblüffend, aber statistisch belegt: In den letzten vier Jahren vor der Insolvenz steigt bei deutschen Mittelständlern der Umsatz. Was der Kreditversicherer Euler Hermes in einer Studie herausgefunden hat, belegt meine These der vergangenen Woche: Ohne Zahlen gelingt keine erfolgreiche Unternehmens-Restrukturierung. Entscheidend ist dabei, dass die Zahlen richtig ermittelt und gedeutet werden.
Die Diskussionen mit Geschäftsführern oder Inhabern beginnen häufig mit dieser Frage: „Wie können wir unseren Umsatz steigern?“ Als Restrukturierungs-Beraterin ernte ich dann ebenso häufig skeptische Blicke, wenn ich antworte, dass es darum zunächst überhaupt nicht geht. Thema Nummer eins ist immer die Liquidität, denn nur der Cash-flow sichert die Zahlungsfähigkeit und verschafft dem Unternehmen die nötige Zeit, um nachhaltig wirkungsvolle Veränderungen vorzunehmen.
Zu den klassischen Sofortmaßnahmen zählen dann unter anderem Gespräche mit den Lieferanten: Stundungen bringen Geld und Zeit. Letztere hilft uns, komplexe und zumeist verlustbringende Organisationen zu entwirren und neu zu ordnen. Einige der Stellschrauben, an denen gedreht werden muss, finden sich dabei im Vertrieb.
Umsatz um jeden Preis gefährdet die Profitabilität
Die Verkaufsorganisation wird häufig auf Hochtouren gebracht, wenn die Geschäftsleitung die ersten Alarmzeichen für das eigene Unternehmen entdeckt. Die klassischen Reaktionen: höhere Bonifikationen für die erfolgreichsten Vertriebsmitarbeiter, umfangreiche Werbe- und Marketing-Maßnahmen sowie Sonderpreis-Aktionen mit hohen Rabattierungen.
Die Auslastung der Produktion ist gesichert, der Umsatz steigt – und die Finanzabteilung wird überhört, weil sie vor sinkender Marge und Profitabilität warnt. Wenige Jahre später folgt bei kleineren und mittelständischen Unternehmen die Insolvenz, stellte der Kreditversicherer Euler Hermes in einer Studie fest. Deshalb, so Euler Hermes, sei die Profitabilität der wichtigste Indikator für Unternehmenskrisen. Dieser Meinung pflichte ich bei.
7% ROCE sind zu wenig
Vier Jahre vor einer Insolvenz liegt der sogenannte „Return on Capital Employed (ROCE)“ bei deutschen kleinen und mittelständischen Unternehmen nicht bei den üblichen Durchschnittswerten von zehn bis 14 Prozent, sondern bei nur rund sieben Prozent. Der ROCE wird übrigens wie folgt ermittelt: EBIT / Netto-Finanzschulden plus Eigenkapital. Zum Vergleich: KMU’s in Frankreich (sechs Prozent), Spanien (unter vier Prozent) und Italien (fast null Prozent) liegen hier deutlich schlechter.
Profitabilität ist wichtig, aber nicht alles
Um zu erkennen, wie bedrohlich die Schieflage eines mittelständischen Unternehmens in Deutschland ist, reicht allein der Blick auf die Profitabilität jedoch nicht aus. Zwei weitere wichtige Kennzahlen für die Beurteilung der Finanzsituation sind die Eigenkapitalquote und die Zinsdeckung. Aber ähnlich wie bei der Profitabilität liegen laut der Studie auch hier deutsche Mittelständler deutlich vor ihren europäischen Nachbarn.
Gute Eigenkapitalquote allein schützt nicht vor der Insolvenz
KMU’s zwischen Flensburg und Garmisch verfügen zum Zeitpunkt des Insolvenzantrags meist über eine deutlich bessere Eigenkapitalquote als die Unternehmen in Frankreich, Italien und Spanien. Allerdings müssen deutsche Unternehmer irgendwann auch erkennen, dass Rechnungen und Zinsen nicht aus dem Eigenkapital bestritten werden können.
Womit ich zum Anfang meines Beitrags zurückkehre: Nicht die Überschuldung ist das Problem der meisten deutschen Unternehmen, sondern die Zahlungsunfähigkeit.Sie wird weiterhin der Hauptgrund für Unternehmens-Insolvenzen sein, auch wenn der für Mitte Dezember vorgesehene Bundestags-Beschluss zum SanInsFog einen nach der Covid-Regelung eher sanften Wiedereintritt in den Insolvenz-Antragsgrund der Überschuldung ermöglicht.
Hinzu kommt, dass bei der rückblickenden Analyse von insolventen Unternehmen bis zu drei Jahre vor dem Aus die operativen Gewinne nicht mehr ausreichten, um die Zinsen zu bezahlen. Durch die in den vergangenen niedrigen Zinsen war der Anreiz immer neuer Kreditaufnahmen hoch. Doch auch in einer Niedrigzinsphase gilt die alte Regel: Je höher die Verschuldung wird, umso mehr Zinsen sind zu zahlen – insbesondere schwächelnde Unternehmen sind davon heute stark betroffen.
Auch niedrige Zinsen müssen bezahlt werden
Häufige Fehler von Unternehmen sind aus meiner Erfahrung zu optimistische Einschätzungen des Forderungsmanagements – sofern es überhaupt eines gibt - sowie fehlende oder zu kompliziert strukturierte kurzfristige Liquiditätsplanungen. Manchmal werden einfach auch wichtige Sektoren ausgeblendet.
Ein Fall aus meiner Praxis: Die seit Jahren günstige Zinssituation führte bei einigen Unternehmen dazu, relativ hohe Tilgungsraten einzuplanen. Das ist unternehmerisch klug, durchaus – bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Tilgungsraten den Cash-Flow ruinieren. Hier ist Abhilfe allerdings (noch) relativ unkompliziert – auch Banken sind gesprächsbereit. Allerdings wird die Situation auch hier schwieriger, je mehr Zeit vergeht: Immer mehr Kreditinstitute melden Forderungsausfälle. Entsprechend sinkt – etwa im Vergleich zum Sommer - die Bereitschaft für Verhandlungen, Tilgungsraten oder zu stunden. Warten Sie damit also nicht mehr länger ab.
Bis kommende Woche. Bleiben Sie bis dahin gesund und wachsam – es geht schließlich um Ihr Unternehmen!